Chronik 1914-1945:

Vom Ersten Weltkrieg 1914 bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges 1945

Der Münsterchor unter Thomas Hermanns

Thomas Hermanns
Thomas Hermanns

1913 lautete eine Notiz aus der gesellschaftlich-geselligen Alltagspraxis des Münsterchores folgendermaßen: „Kleine Sorgen, Röckel für die Knabenchorsänger zu beschaffen, für ein Festessen zum Cäcilientag im Hotel Oberstadt pro Mitglied 1,50 plus 1,80 Goldmark für Wein zu vergüten.“ Doch was hier so klingt, als ob man in einer unbeschwerten Zeit lebte, änderte sich schlagartig, als der Erste Weltkrieg ausbrach und viele Mitglieder des Chors zum Heeresdienst eingezogen wurden. Die dunklen Kriegsjahre lähmten die Aktivität des Chores offensichtlich so sehr, dass bis 1924 schriftliche Aufzeichnungen fehlen. In diesem Jahr erfahren wir aus der Chronik von einem „Vermächtnis des Herrn Kühlen für den Kirchengesangverein". Es wird sinnvoll für Aufgaben des Knabenchores verwandt.

 

 

Zu dieser Zeit hatte der allseits geschätzte Dirigent Thomas Hermanns schon mehr als drei Jahrzehnte den Kirchengesangverein der Hauptpfarre gelenkt. Er und auch sein Vorsitzender, der Kommunalpolitiker und Reichstagsabgeordneter Josef Rongen, hatten ihn im Zeichen der damaligen kirchenmusikalischen Erneuerung geprägt.

 

Dazu einige Worte: Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts stand die musica sacra in einem liturgischen Erneuerungsprozess, in dem unter der Organisation des Cäcilienverbandes eine deutliche Abgrenzung zur konzertanten Profanmusik im Kirchenraum gezogen wurde. Es war eine Art Befreiungsbewegung mit großen und kleinen Geistern, hervorragenden wie auch mittelmäßig begabten Komponisten und solchen, denen formale Einhaltung der Prinzipien wichtiger waren als musikalische Substanz.

 

Die cäcilianische Bewegung fand Ausdruck in einer bewussten Choralpflege wie in einer liturgisch eingebundenen Mehrstimmigkeit. Komponisten wie die im vorigen Kapitel bereits genannten Rheinberger, Haller und Nekes, aber auch Franz Xaver Witt (1834-1888), Ignaz Mitterer (1850-1924) und Josef Venantius Wöss (1863-1943) setzen da deutliche Zeichen. Eigene Wege gehen Eduard Grell (1800-1886) und Vinzenz Goller (1873-1953).

 

Es ist charakteristisch, dass in den Chorprogrammen des Münsterchors fast alle bedeutenden Komponisten aus dieser Epoche verzeichnet sind. Ihre Messkompositionen gehören zum festen Repertoire schon unter Thomas Hermanns wie unter seinem Nachfolger, dem vielseitig begabten vorbildlichen Dirigenten Josef Bönn.

 

Josef Bönn übernimmt die Leitung

Josef Bönn
Josef Bönn

Josef Bönn übernahm im Oktober 1926 die Leitung des Chores, führte ihn über die Wirren des Zweiten Weltkrieges und der folgenden Notzeit hinaus und förderte bis Ende 1956 den Wiederaufbau der neuen Singgemeinschaft unter schwierigen Bedingungen.

 

Den Musiker Josef Bönn, der zugleich Bundeschormeister des Deutschen Sängerbundes und ein Vertreter der jüngeren Generation war, zeichnete ein untrügliches Gehör aus. Er verstand es, die Stimmen glänzend zu disponieren und zu differenzieren. Er legte größten Wert auf eine saubere Deklamation und auf durchgestaltete dynamische Gliederung. In den Jahrzehnten seines Wirkens hatte er nicht nur dem Männer- und Knabenchor große Aufgaben gestellt und sie ganz erfüllt, in der Kriegszeit (1940) wurde er auch der Begründer der gemischten Chorgemeinschaft in Zusammenarbeit mit dem Elisabethenverein.

 

Bönn gab in den zwanziger und dreißiger Jahren auch der bürgerlichen Musikpflege in Mönchengladbach neue Impulse. Nicht nur dadurch, dass er den Knabenchor für die Mitwirkung bei städtischen Konzerten und für die alljährliche Aufführung der Passion von Bach vorbereitet. Er leitete auch einen der großen Männerchöre, den "Westender". Viele seiner Mitglieder wirkten zugleich im Münsterchor mit. In diesen Jahren erreichte die Vokalmusik in Mönchengladbach im Bereich der Männerchorgemeinschaften anspruchsvolle künstlerische Ziele, in der Schubertpflege durch den Männergesangverein „Gaudeamus“ unter Hugo Holz ebenso wie in den Programmen des Städtischen Männergesangverein „Liedertafel“ unter der Leitung des Komponisten Karl Kämpf.

 

Der Brückenschlag zwischen bürgerlicher Musikpflege und der musica sacra in Konzert-Kontakten der Kirchenchöre wie in Gemeinschaftsveranstaltungen wirkte sich positiv aus. Schon in den dreißiger Jahren wurde die erste Zusammenarbeit zwischen dem Kirchenchor St. Marien Rheydt und dem Münsterchor registriert. Zum ersten Male übertrug der Rundfunk Pfingsten 1931 einen Gottesdienst aus dem Gladbacher Münster. Die damalige Jahresbilanz lautete: 64 Hochämter mit 36 Choralmessen, 28 mehrstimmige Messen, 135 mehrstimmige Lieder und Motetten und eine regelmäßige Mitwirkung bei Vespern, Kompleten und Andachten. Größte Beachtung fand im November 1932 ein Gemeinschaftskonzert des Münsterchores mit dem Westender bei einer Aufführung der großen Messe „Pax Christi in regno Christi“ für Männerchor und vierstimmig gemischten Chor von Heinrich Lemacher, dessen später viel gesungene Motette „Regina coeli“ hier zum ersten Male erklang. Bei der Wiederholung dieses Konzerts am 11. Dezember 1932 war das Interesse des Publikums so groß, dass der Nebensaal der Kaiser-Friedrich-Halle zusätzlich geöffnet werden musste. Aus der Bekanntschaft zwischen Bönn und Lemacher wurde übrigens eine fruchtbare künstlerische Zusammenarbeit.

 

Noten der Vitushymne
Noten der Vitushymne

Zum Hundertjährigen 1934 erhielt der Chor eine neue Fahne. Sie zeigte auf der Vorderseite ein Bild der Muttergottes als Gladbacher Pfarrpatronin und auf der Rückseite eine stilisierte Orgel mit dem Schriftband „Laudate Dominum“.

 

Nicht unerwähnt bleiben darf, dass Heinrich Lemacher dem Jubelchor eine Vitus-Hymne widmete. Sie erklang in einem Pontifikalamt am 18. November 1934 gleichzeitig mit Lemachers neuer Messe „Missa santo anno“. In einem abendlichen Festkonzert in der Kaiser-Friedrich-Halle trat der Chor mit 65 Herren und 95 Knaben auf und wurde von einem großen Orchester begleitet.

 

Münsterchor 1934 zum 100jährigen
Münsterchor 1934 zum 100jährigen

Zu Gast war in diesem Jahre zum Jubiläum zum ersten Mal auch der St. Nicolaaskoor aus Venlo. Er lud den Münsterchor zu sich ein. Daraufhin sang er im September 1934 dort die „Messe „Dona nobis Pacem“ des elsässischen Komponisten Maria Joseph Erb (1858-1944). Den Titel der Messe „Gib uns Deinen Frieden“ muss man als Signal werten. Denn immerhin hatten 1933 die Nationalsozialisten die Macht errungen und die Furcht vor einem neuen Kriegs war lebendig.

 

Nachzutragen bleibt, dass 1932 der langjährige Schriftleiter des Chors, Georg Pudenz, zum Vorsitzenden gewählt wurde. Zu diesem Zeitpunkt zählte der Chor 160 Mitglieder, davon 100 Knaben.

 

Bei einem Großangriff auf Mönchengladbach am 31. August 1944 wurde das Münster bis auf die Umfassungsmauern zerstört. Auch die Hauptpfarrkirche sank in Trümmer.

 

Der Chor verlor sein gesamtes Notenmaterial und seine drei Fahnen. Bei der Stadtverwaltung wurde ein Gesamtkriegsschaden von 1.884,00 RM angemeldet, für den aber nie eine Entschädigung gezahlt worden ist.